Im Blogeintrag vor zwei Wochen gab es vor allem Gejammer über das schreckliche Gefühl, dass die Geschichte sich in einen störrischen Esel verwandelt hat, der einfach nicht weitergehen möchte. Da mir das immer wieder einmal passiert und ich mittlerweile durchaus ein paar »alte Bekannte« bei den Gründen dafür erkenne, habe ich mich mal an einer Art Checkliste versucht. Die Idee: Wenn ich das nächste Mal hänge, gehe ich die Liste einfach durch – und merke dann vielleicht schneller, worin mein Problem besteht.
- Weiß ich, was passieren soll?
Das ist ehrlich gesagt der Nummer-Eins-Klassiker: Ich dümple vor mich hin, weil ich gar nicht weiß, was jetzt überhaupt kommt.
Aber, so werden die reinen Bauchschreiber einwenden, das ist doch oftmals gerade der Reiz an der Geschichte: sich während des Schreibens von ihr überraschen lassen!
Und ja, das stimmt auch. Ich plotte zwar sehr genau, trotzdem entwickeln meine Geschichten gern eine überraschende Eigendynamik. Trotzdem: Wer sprintet schon gern in nebligem Gelände? Wenn ich nicht vorankomme, kann es sein, dass ich einfach gar keinen Plan habe. Eine Handvoll Stichpunkte und ein paar grobe Gedanken helfen da oft schon, man muss die Szene gar nicht zu Tode plotten.
- Habe ich einen Cut vergessen? Erzähle ich eine Szene, die ich gar nicht erzählen müsste?
Auch das ist einer meiner absoluten »Lieblings«gründe, warum ich plötzlich feststecke. Nicht alles in einer Geschichte auszuerzählen, stattdessen Szenen im richtigen Moment zu beenden, das finde ich oft noch immer schwer umzusetzen. Wie denn, der zwanzigtägige Marsch der Heldentruppe durch das Schwirrmückenmoor muss nicht in Echtzeit beschrieben werden? Was, ich darf das völlig ereignisfreie Frühstück der Protagonistin auch überspringen und direkt zum Banküberfall übergehen? Zwar habe ich noch kein Patentrezept für diese Problem gefunden (ich meine hier nicht das Frühstück*), aber sobald ich die Tastatur nur noch durch zähen Sirup zu treffen scheine, kann das ein Indiz sein.
- Bin ich in der falschen Perspektive?
Manchmal ist es erstaunlich, wie rasch sich ein Problem beheben lässt. Vor ein paar Monaten passierte mir das in einem Spaßprojekt: Ich saß an einer wundervollen, höchst dramatischen Szene … und rang mit jedem Wort. Alles fühlte sich verquer und falsch an. Es hat erschreckend lange gedauert, bis ich begriff, warum: Mein Perspektivträger lag halb weggetreten und blutend in der Gegend herum. Damit hatte er zwar einen recht eigenen Blick auf die Ereignisse, aber nicht den hellwachen, den ich brauchte. Klar also, dass das alles keinen Sinn ergab. Ich trat also seitenweise blutbesudelte Falschperspektive in den Papierkorb und wechselte probehalber zu einer putzmunteren, noch unverletzten Figur. Treffer, denn die hatte in der Szene auch einen wichtigen moralischen Zwiespalt zu überwinden und war damit der perfekte Perspektivträger. Und schon flossen die Wörter (und das Blut, aber auch das war vollkommen in Ordnung so).
- Passieren in dieser Szene zu viele Dinge auf einmal?
Klotzen statt kleckern, richtig? Meine Heldentruppe soll sich über ihren weiteren gemeinsamen Weg klar werden und einer düsteren Intrige auf die Spur kommen und dann deute ich noch zwei subtile Romanzen an und der Sidekick braucht einen Auftritt und noch etwas Dramatisches für zwischendurch … wieso stecke ich schon wieder fest? Tja, auch das ist mir leider schon genau so passiert: Ich stopfe fröhlich Kram in eine Szene und merke zu spät, dass sich die einzelnen Stränge gründlich verknotet haben. Auch hier könnte ein genaueres Vorplanen der Szenen hilfreich sein – jetzt im NaNo erwäge ich auch einen strukturierten Szenenplan, damit ich für jede Szene den roten Faden im Auge behalte.
- Stehen die Ereignisse in dieser Szene lose nebeneinander, anstatt aufeinander aufzubauen?
So geschehen im finalen Kapitel eines älteren NaNo-Romans von mir, das schuld daran ist, dass ich ihn bis heute nicht überarbeitet habe. (Fehlende Cuts sind das andere große Manko jenes Werks.) Mein Held hatte sich über die Handlung hinweg mit etwa einem Dutzend Figuren zerstritten, und am Ende wollte ich natürlich alles wieder in Ordnung bringen. Was darin endete, dass es sich anfühlte, als ob die Figuren per Wartenummernsystem bei meinem Helden vorstellig wurden, eine nach der anderen, lauter kleine Szenenhäppchen, aber kein zusammenhängendes Kapitel. Zerfledderter Kram schreibt sich nicht schön. Den Finger konnte ich aber erst sehr viel später drauflegen. Eines Tages finde ich noch einen Weg, dieses Buch zu überarbeiten, aber immerhin kenne ich jetzt das Problem.
- Passieren die Dinge in der falschen Reihenfolge?
- Kommen die Entwicklungen in dieser Szene zu früh? Habe ich eine andere Szene vergessen?
Eine meiner Heldinnen sagt in einer Geschichte etwas erstaunlich Kluges:
»In der Archäologie hab ich eins gelernt: Wenn man bei einer Grabung zum Kern der Sache kommen will, muss man Schicht um Schicht abtragen. Und man fängt mit der obersten an, nicht mit der untersten.«
Hätte ich im Studium bloß ein paar archäologische Seminare mehr besucht! Ich fange nämlich gerne mal mit der untersten Schicht an, wechsle dann von der obersten in die mittlere und wundere mich, dass es bei der Dramaturgie hakt. Oder eben überhaupt beim Schreiben. Auch hier ist mein Lieblingsproblem schluderiges Plotten: Wenn ich nicht klar vor Augen habe, worauf zumindest die kommende Szene hinauslaufen soll, was auf dem Spiel steht und so weiter, verzettle ich mich. Immerhin bin ich keine Archäologin geworden. Was ich schon an Spaten ruiniert hätte …
- Verhält die Figur sich untypisch (»out of character«)?
Das passiert mir erfreulicherweise eher selten, aber ab und zu schon. Klar, Figuren sollen sich auch entwickeln und an ihren Herausforderungen wachsen, und sie können durchaus mal was Unerwartetes tun. Natürlich kann die sanftmütige Heldin plötzlich in einem absoluten Wutausbruch eskalieren oder trotz bisheriger Entspanntheit dem Antagonisten eine Eifersuchtsszene machen – das kann in ihrem Charakter so angelegt sein und dann auch glaubhaft. Wenn sie aber nur zu wüten beginnt, weil ich das gerade für meine Handlung brauche, dann geht die Sache schief. Und in aller Regel merke ich das beim Schreiben: Der Cast streikt nämlich, wenn ich ihm das falsche Drehbuch vorsetze.
- Handelt die Figur wirklich entsprechend ihrer Motivation?
- Hat die Figur überhaupt eine logische Motivation für ihre Handlung?
Sehr nah verwandt mit dem vorherigen Punkt, aber auch mit der Frage, was hier überhaupt passiert: Was will der Typ eigentlich? Den Ferrari? Das Meerschwein? Oder will er einfach nur hier sitzen? So, lieber Held, jetzt musst du dich entscheiden … Aber stopp, nein. Er hätte sich eigentlich schon längst entscheiden sollen. Hat er vielleicht auch, aber wenn seine Autorin ihm nicht zugehört hat, ist es kein Wunder, dass er jetzt orientierungslos durch die Szene stolpert und kein Wort zum anderen passt.
Mittlerweile passiert mir das auch seltener, weil ich gelernt habe, meine Figuren genau unter die Lupe zu nehmen und herauszufinden, was sie eigentlich wollen. (Meist ist es nicht der Ferrari.) Ihre Motivation klar vor Augen zu haben ist natürlich kein Garant dafür, dass ich sie nicht im Eifer des Gefechts vergesse …
Soweit meine persönliche Checkliste der Dinge, die bei mir beim Schreiben so richtig schiefgehen können. Für die Autoren unter meinen Bloglesern: Falls ihr das Gefühl habt, dass meine Liste auch für euch nützlich sein könnte, findet ihr sie hier noch einmal ganz kompakt als PDF-Datei zum Download (mit ein paar leeren Checkboxen, um noch Eigenes ergänzen zu können.) Denn ntürlich ist diese Checkliste nicht erschöpfend – und mich interessiert, was eure liebsten Stolpersteine sind. Habt ihr ähnliche Listen?
Checkliste: Woran hakt es in meiner Szene? [PDF]
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*Den Banküberfall meinte ich auch nicht.
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Bildnachweise: fesehe|Pixabay, Counselling|Pixabay
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