Es gibt Projekte, die werden zwischendurch zu einem Dschungel. Jeder Satz ist ein Machetenschlag ins Dickicht. Es ist drückend, der Schweiß rinnt in Strömen, der morastige Boden macht das Vorankommen noch mühsamer und langsamer – doch da, endlich, leuchtet durch die grüne Hölle die Lichtung Kapitelende! Noch ein, zwei Machetenhiebe – geschafft!
Und dann dreht man sich um, erschöpft, aber stolz, dass man doch einen Pfad in der Wildnis geöffnet hat … Moment mal! Wieso ist da schon wieder alles überwuchert? Wieso kichern die Moskitos so hämisch?
Ungefähr so ging es mir vor ein paar Tagen. Das Projekt »Gurkensalat« (Name von der Redaktion geändert, da es lieber anonym bleiben möchte) begleitet mich jetzt schon seit einer Weile, genauer gesagt seit ein paar Jahren. Dumm, dass ich es eigentlich auch schon spätestens vor zwei Jahren fertig haben wollte. Noch dümmer, dass es momentan so aussieht, als ob das in diesem Jahr schon wieder nichts wird. Umso verbissener habe ich mich gerade wieder durch ein widerspenstiges Kapitel machetet, es mit einem Aufatmen beendet und eher beiläufig in das Kapitel davor geguckt.
Nur um festzustellen, dass Kapitel 4 und 5 sowas von gar nicht zusammenpassen.
Es gibt Tage, da könnte ich einen Großteil meiner benötigten Nährstoffe aus der Tischplatte aufnehmen – herzhaft genug beiße ich rein. Natürlich ist das Problem hausgemacht: Wenn ich zwischen einzelnen Kapiteln immer wieder lange Pausen mache, verliere ich natürlich den Anschluss an meine eigene Geschichte. Und es kann eine entsprechend blöde Idee sein, den Knoten in Kapitel 5 lösen zu wollen, ohne zu gucken, welche Stränge da überhaupt aus Kapitel 4 kommen.
An jenem Tag hätte ich gern, um im Bild zu bleiben, den gesamten Dschungel einfach gerodet. Ich hatte schlichtergreifend keinen Bock mehr.
Dass man ein Projekt zu hassen beginnt, das man eigentlich liebt, ist kein schönes Gefühl. Und dabei war es noch gar nicht so lange her, dass ich mit genau dieser Geschichte in richtig schöne Schreibflows gekommen war! Aber dazu fand ich in dem Moment überhaupt keinen Zugang mehr. Ich wollte das Projekt nicht mal mehr mit der Kneifzange anfassen, weil ich das Gefühl hatte, dass es mich völlig ausgelaugt hatte.
Also habe ich die Geschichte an jenem Abend frustriert in die Ecke geworfen, dem Dschungel den Stinkefinger gezeigt und mich glücklicherweise bei lieben Autorenfreundinnen ausheulen dürfen. Das hat geholfen, um mit einer Nacht Abstand und einem tiefen Durchatmen zwar noch nicht gleich wieder das Projekt zu öffnen, aber im Kopf zu sortieren, wie es zu diesem völligen Frust kommen konnte.
Ein Patentrezept bei solchen Problemen gibt es meines Wissens nicht (und wenn doch, dann verratet es mir schleunigst). Ich habe als einen der Schuldigen das fette blinkende MUSS in meinem Kopf ausgemacht: Ich MUSS diese Geschichte fertigschreiben, am besten noch in diesem Monat und spätestens in diesem Jahr, weil ich es mir schließlich so vorgenommen habe. Am persönlichen Ziel scheitern? Geht gar nicht. Ich MUSSMUSSMUSS doch.
Das MUSS lag mir im Weg wie ein riesengroßer Felsblock. Kein Wunder, dass davon die Machetenklinge stumpf wurde. Und es hat einiges an Kraft gekostet, dieses MUSS gezielt zur Seite zu rollen, damit der Blick auf die eigentliche Geschichte wieder frei wird. Wie genau es letztendlich geklappt hat, kann ich auch gar nicht so genau sagen. Ich versuchte, mir bewusst zu machen, dass nichts, wirklich rein gar nichts passieren wird, wenn ich die Geschichte nicht im Oktober und vielleicht nicht mal in diesem Jahr fertigschreibe. Zumindest wird keine größere Katastrophe als Konsequenz eintreten.
Um den Dschungel völlig aus dem Kopf zu bekommen, habe ich ein paar Tage lang an einem reinen Spaßprojekt geschrieben. Jeder Satz daran hat mir etwas Abstand zum bockigen Dschungelprojekt eingebracht. Genug, dass ich das schließlich wieder öffnen und mit einem beruhigenden DU-MUSST-NICHT! im Hinterkopf noch einmal betrachten konnte. Da öffneten sich dann auch plötzlich kleine Trampelpfade im Dickicht: Es war gar nicht so viel Arbeit nötig, Kapitel 4 und 5 aneinander anzugleichen (eigentlich musste ich Kapitel 4 nur einmal in der Mitte durchhacken und Kapitel 5 dazwischen schieben). Und im nächsten Schritt habe ich dann weitergeschrieben. Einfach so. Nicht das MUSS und das Geschichtenende im Blick, sondern einfach nur die nächste Szene (Beppo Straßenkehrer lässt grüßen, aber er hat nun mal einfach recht).
Ob der Dschungel jetzt besiegt ist? Ein wenig wage ich das zu bezweifeln. Das Projekt hat bestimmt noch die ein oder andere kleine Überraschung im Ärmel. Aber für den Moment habe ich es geschafft, mich daran nicht aufzureiben, und das ist viel wert. Was mir auch wieder einmal klar geworden ist: Projekte bocken, wenn man irgendwo falsch abgebogen ist. Sie sind dann störrische Esel, die genau wissen, wo der eigentliche Weg langführt – und manchmal muss man ein ganzes Stück bis zur letzten Kreuzung zurückgehen, um ihn zu finden. Ich habe mittlerweile ein paar Lieblingssackgassen, in die ich mich vorzugsweise verrenne, und überlege mittlerweile, ob ich nicht mal eine Checkliste erstellen sollte, die ich durchgehen kann, wenn es mal wieder hakt – damit die Machete nicht ins Leere haut, sondern gleich das richtige Gestrüpp wegfetzt.
Ich liebe dieses Projekt trotzdem von Herzen! *guckt bockig*
Und diese weise Erkenntnis: „Projekte bocken, wenn man irgendwo falsch abgebogen ist. Sie sind dann störrische Esel, die genau wissen, wo der eigentliche Weg langführt – und manchmal muss man ein ganzes Stück bis zur letzten Kreuzung zurückgehen, um ihn zu finden.“ Oooohja! Wenn bei mir nichts mehr geht, weiß ich, dass irgendwo auf den letzten 5 bis 200 Seiten etwas falsch gelaufen ist. Meistens ich.
Wir sollten öfter auf Eselchen hören, die uns störrisch angucken und das Köpfchen schütteln, dass die langen Ohren schlackern.