Ich kenne meine Pappenheimer. Behaupte ich zumindest. Und meistens widersprechen sie auch nicht. Das mag von Höflichkeit zeugen. Höflich hilft aber nix, wenn plötzlich fremde Leute im Roman auftauchen – die blöderweise schon seit der ersten Seite dabei sind.

Malús Geschichte ist eine, die ich gut vorbereitet habe, gerade, was die Figuren anbelangt. Das heißt: Ich habe mir vor dem Schreiben viel Gedanken darum gemacht, wer wie tickt, wer was möchte und wer welches Päckchen zu tragen hat. Natürlich ergibt sich sehr vieles auch erst organisch beim Schreiben und passt dann besser als alles, was man zuvor am Reißbrett hätte entwerfen können. Das ist ja gerade die Magie des Geschichtenerzählens. Normalerweise kommen meine Romanfiguren und ich in dieser Hinsicht sehr gut miteinander aus, aber mitunter schlagen sie mir dann doch ein Schnippchen der ganz anderen Art.

Meine Malú ist bis über beide Ohren verliebt, und das ist auch gut so. Erstens ist Liebe was Feines, und zweitens würde die Geschichte ansonsten nicht funktionieren. Malús Schatz ist ein netter Kerl. Nicht nur ihr, sondern auch mir gegenüber. Wann immer ich ihm einen Auftritt zugedacht habe, ist er da, bringt seinen Text überzeugend rüber und verpasst nie ein Stichwort. Er hält sich ans Drehbuch, spielt zwischendurch nett Gitarre und freut sich, weil Malú ihn liebt. Wenn ich ihn von der Bühne schickte, … ja, keine Ahnung, was er dann machte. Wahrscheinlich saß er auf einem unbequemen Stuhl hinter dem Vorhang und aß kalte Pizza.

Kürzlich kam die Handlung an eine entscheidende Stelle, an der Malú sich entschließen muss, sehr viel für diese Beziehung zu wagen. Und wie Romanfiguren und ihre Autorinnen das so machen, setzten wir uns auf einen imaginären Kaffee zusammen (sie trinkt ihn ohne Zucker), besprachen ein bisschen, wie es weitergehen sollte, und spürten beide so ein unbestimmtes Unbehagen. Irgendwie hakte es – ähnlich wie hier beschrieben. Ich überlegte irgendwie, ob ich Malú nicht empfehlen sollte, ihren Typen in den Wind zu schießen und sich vielleicht nach Paris abzusetzen. Dann stutzte ich, denn so etwas hätte meinen Roman dummerweise kaputtgemacht.

»Sag mal«, fragte ich sie also, »dein Freund da – was findest du an dem eigentlich?«
Malú ist eine sehr vernünftige Romanheldin. Sie nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie mich aus großen Augen anguckte und meinte: »Na ja, wenn du als meine Autorin das nicht weißt, was soll ich dann erst sagen?«

Und da wurde mir klar, dass wir ein Problem hatten. Irgendwie war da ein fremder Mann in meinem Roman. Dummerweise spielte er eine Hauptrolle. Ich zog meine Notizen hervor und fragte mich, warum ich ihn so schlecht kannte. Ich hatte mir doch alles Mögliche überlegt?

»Alles Mögliche« war in dem Fall offenbar nicht genug. Wäre es genug gewesen, hätte der gute Herr abseits seiner Auftritte im Buch ein eigenes Leben geführt, anstatt sich brav ausblenden zu lassen und ungerührt diese niemals zur Neige gehende kalte Pizza im Off zu essen. Wäre es genug gewesen, ich hätte mich nicht fragen müssen, was die beiden eigentlich verbindet (also, ihn und Malú, nicht ihn und die Pizza). Und meine Notizen verrieten mir noch mehr, als ich ganz genau hinsah: Alles, was ich mir für den armen Kerl an Konflikten, Zielen und Motivationen überlegt hatte, passte nun vorne und hinten nicht mehr. Manches basierte auf Charakterzügen, die ich für ihn skizziert hatte, die sich beim Schreiben aber nie so entwickelt hatten.

Ich machte noch einen Kaffee und bat meinen unbekannten Helden herein. Ich glaube, er war froh, die kalte Pizza loszuwerden. Und dann setzte ich mich auf meinen Hosenboden und machte noch einmal meine Hausaufgaben.

Dabei habe ich kein Patentrezept, wie ich Figuren entwickle. In diesem Fall habe ich seitenweise biografischen Hintergrund zusammengetragen, geguckt, was im Roman eigentlich schon da ist, gestutzt, weil theoretisch genug Figur vorhanden ist – vielleicht wäre es beim Lesen gar nicht mal aufgefallen, aber ich beim Schreiben merkte eben: Ich kenn den nicht. Vor allem bekomme ich diese Beziehung nicht zu greifen. Wer ist er? Was kann er? Was macht ihn so besonders, dass Malú bereit ist, all das für ihn zu tun, was meine bösartigen Plotnotizen vorsehen?

Mittlerweile weiß ich das alles. Mehr als das, ich verstehe Malú und denke jetzt, sie kann doch gar nicht anders, als den nicht mehr hergeben zu wollen. Er hat nämlich einiges mehr drauf als das Talent, kalte Pizza zu essen und die eigene Autorin gründlich an der Nase herumzuführen. Schließlich gibt es Dinge, die hätte er mir auch schon am Anfang des Romans verraten können. Aber gut, nun wissen wir alle Bescheid, und die Welt ist wieder rundum in Ordnung – wenn man mal davon absieht, dass der Kaffee alle ist.

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Bild: Gaffey | Pixabay

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