Eigentlich sollte der Blogeintrag für diese Woche ausfallen, schließlich gibt es am Sonntag den Aus- und Rückblick aus der Kategorie »Auf halbem Weg«. Aber dann guckte ich etwas genauer in den Kalender und stellte fest, dass es am Freitag auf den Tag fünf Jahre her ist, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die mein Leben verändert hat. Und dass dieser 13. Januar nach fünf Jahren wieder auf einen Freitag fällt. Ein Rückblick ist angebracht.

Vor fünf Jahren saß ich reichlich blockiert über meiner Masterarbeit (eine Blockade, die ich nicht verstand, weil ich über ein Thema schrieb, das ich liebte). Ich stand somit kurz vor meinem Studienabschluss und einem Haufen blinkender Fragezeichen für meinen weiteren Lebensweg, statt Ängsten und Zweifeln überwog aber das grandiose Gefühl der Freiheit am Scheideweg: Alle Entscheidungen sind möglich.

Ich sollte dazu sagen, dass ich Interdisziplinäre Lateinamerikastudien studiert habe – ein Master, der mir viele wichtige Impulse gegeben hat, wobei die wirklich bereichernden für mich persönlich nicht unbedingt aus seinem interdisziplinären Ansatz kamen. Im Bachelor hatte ich Kulturanthropologie studiert, also Ethnologie. Dort fühlte ich mich auf Anhieb zu Hause vom Fachlichen her, von den Fragestellungen und Herangehensweisen. Was für mich zu kurz kam, war der Lateinamerikabezug. Im Master war es dann umgekehrt: Lateinamerika stand wie gewünscht im Mittelpunkt aller Fragen, die Kulturanthropologie hingegen war trotz persönlicher Schwerpunktsetzung nie so sehr im Fokus, wie es sich für mich richtig angefühlt hätte. Hinzu kam, dass immer weniger Lehrveranstaltungen den Andenraum thematisierten, also die Region, für die nicht nur mein Forscherherz am meisten schlägt.

Sauber zusammengefaltet in meinem Hinterkopf – wie ein Kleidungsstück, das man aber schon längst nicht mehr trägt – schlummerte immer das Wissen, dass es das für mich perfekte Studium anderswo sehr wohl gegeben hätte. In meinem Blogeintrag vor fünf Jahren schrieb ich dazu:

Altamerikanistik war der Studiengang, den irgendjemand da draußen speziell für mich erfunden hat. Zumindest kam es mir so vor, als ich mit fünfzehn die Beschreibung las. Es war wirklich ein Gefühl von: Wow, da hat jemand alles genommen, was mich interessiert – Geschichte, Ethnologie, Archäologie, Sprachen Lateinamerikas, alles aus der indigenen Perspektive – und hat es in einen Studiengang gepackt. Meins.

Und dann kam die Bologna-Reform. In genau dem Jahr, in dem ich Abi gemacht habe. Alle Leute gratulierten mir zu meiner tollen Note: »Damit kannst du alles machen, was du willst!« Während ich die Tränen runterkämpfen musste und dachte: Nein. Eben nicht. Weil es meinen Studiengang nicht mehr gibt. Weil das ein kleiner Magister ist, zu dem es kein Bachelor-Äquivalent gibt.

Die restliche Geschichte ist schnell erzählt: Während meines Bachelors in Berlin wurde in Bonn ein Altamerikanistik-Master eingerichtet; ich jubilierte, plante und blieb am Ende doch aus verschiedenen Gründen in Berlin, was sich in vielerlei Hinsicht auch als richtig erwies, aber eben nicht als vollständig. Am 12. Januar 2012, spätabends, klickte ich mich noch einmal auf die Seite der Bonner Altamerikanistik, stöberte im Vorlesungsverzeichnis und brach zu meiner eigenen Überraschung in Tränen aus, weil alles, was ich da las, sich nach verlorenen Möglichkeiten anfühlte. Und dann plötzlich ein kleiner, verrückter Gedanke, der sich reichlich zaghaft rührte, und eine Nacht, die ich komplett mit lieben Freundinnen durchtelefonierte. Am Morgen des 13. Januars standen Kopfschmerzen, pechschwarzer Kaffee und eine Entscheidung: Ich mache einen zweiten Master. Ich gehe nach Bonn und studiere Altamerikanistik. Ich mache das, was ich immer machen wollte.

Es war verrückt, denke ich. Auf eine gute Art. Es gibt diese Entscheidungen, die so wunderbar im Bauch kribbeln, es ist wie ein großer Sprung über einen Abgrund – da ist die Angst, dass man stürzen könnte, aber eben auch die Chance, heil auf der anderen Seite aufzusetzen.
Der Sprung ist mir geglückt. Im Herbst 2012 ging ich wirklich nach Bonn (auch wenn ich erst zehn Tage vor dem Umzug die Zusage fürs Studentenwohnheim bekommen habe), studierte Altamerikanistik und kam im Herbst 2014 wieder zurück nach Berlin. Was nun auch schon wieder ein Weilchen her ist.

Bereut habe ich es nicht. Natürlich nicht. Die Altamerikanistik und ich haben unser Happy End bekommen; endlich saß ich wieder in Seminaren und dachte strahlend: Hier bin ich richtig. Hier, genau hier, sollte ich sein und genau das lernen. Es war die perfekte Ergänzung zu meinem ersten Master.
Die Technik hinter inkaischen Knotenschnüren, die Lektüre von Dokumenten aus dem 16. Jahrhundert oder die Grundlagen der Siedlungsarchäologie sind aber gar nicht das Wertvollste, was ich in diesem Zusammenhang gelernt habe (und auch nicht das Seminar zur Visuellen Anthropologie im Andenraum, ohne das ich »Das Geheimnis des Mahagonibaums« vermutlich nie geschrieben hätte).

Das wirklich Tolle an dieser Geschichte ist die Unterstützung, die ich von allen Seiten erfahren habe, und das Verständnis für ein Herzensunternehmen, bei dem es für mich um so viel mehr ging als einen akademischen Titel.

»Warum machst du denn nicht gleich einen Doktor, das ergibt doch viel mehr Sinn?« – »Warum versuchst du nicht, dir Sachen aus dem Berliner Studium anerkennen zu lassen, dann bist du schneller fertig in Bonn?« – Das habe ich ab und an zu hören bekommen, aber eigentlich nie von den Leuten, die mich wirklich gut kennen. Die haben mir zugenickt und gesagt: Mach es. Es ist richtig. Wir verstehen das. Und wir sind für dich da, wenn du uns brauchst.
Angefangen bei meinen Eltern, durch deren Unterstützung ich meine kleine Berliner Wohnung halten konnte (und den Umzug  wuppen). Den Freunden, die mir Carepakete schickten, meine Wellensittiche übernahmen oder überhaupt einfach da waren. Dank des Tintenzirkels, meinem allerliebsten Autorenforum überhaupt, war das Rheinland für mich von Anfang an kein weißer Fleck auf der Landkarte, sondern voll von Orten, an denen bereits Freunde wohnten. Für alles das bin ich auch heute noch unglaublich dankbar.

Vor fünf Jahren habe ich eine Entscheidung getroffen. Es tut gut, sich heute daran zu erinnern. Während meiner Zeit in Bonn habe ich viel gelernt, neue Freunde gefunden, Ideen und Inspiration für mein Schreiben entdeckt, immer wieder auch riesiges Glück gehabt, wenn sich wieder ein quälendes Fragezeichen einfach auflöste und die Dinge einfach fügten. Zu sehen, wie sehr solche Wagnisse sich lohnen können und wie gut alles zusammenkommen kann, hat mir viel Selbstvertrauen für meinen weiteren Weg gegeben – und einmal mehr eben auch die Gewissheit, dass ich den nicht alleine gehe. (Danke, ihr alle. Von Herzen!)

Vermutlich geht es nicht immer gut. Manchmal auch dann nicht, wenn man die richtigen Menschen an seiner Seite weiß. Aber meine Bonn-Unternehmung hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, es zumindest zu probieren. Nicht nur dann, wenn der 13. auf einen Freitag fällt.

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