Auf meinem Schreibtisch liegt Hurvínek.

Hurvínek ist ein Smartphone. Ich habe es nach einem pfiffigen tschechischen Marionettenjungen benannt. Hurvínek und ich sind jetzt in der Probezeit. Ich bin noch nicht sicher, ob wir miteinander auskommen werden.

Ich hatte, das muss man dazu vielleicht wissen, noch nie ein Smartphone. Ich fand immer, ich brauche so etwas nicht. Strenggenommen finde ich das noch immer. Ich will nur ausprobieren, ob diese Art von Dekadenz vielleicht doch was für mich ist.
Mein bisheriges Handy ist klein und griffig. Der Akku hält so lange, dass die Welt tatsächlich nicht untergeht, wenn man bei einem Wochenendausflug mal das Ladegerät daheim vergisst. Mein Handy ist vielleicht nicht wirklich smart, aber ich kann damit telefonieren und der Wecker klingelt zuverlässig sogar dann, wenn ich es ausgeschaltet habe. Es tut alles, was ich will. Es bringt mich sogar ins Internet. Die verblüfften Blicke der Umstehenden sind in solchen Fällen unbezahlbar. Wahrscheinlich denken die Leute, das Internet auf diesem Handy sei noch zahnradbetrieben. Ist es vielleicht auch.

Und nun also Hurvínek. Ich bin furchtbar irrational, was technische Geräte angeht: Mein kleines altes Handy mit dem Vintage-Internet läuft noch ausgezeichnet, und ich habe ein schlechtes Gewissen, mir quasi hinter seinem Rücken ein Smartphone anzulachen. Aber Hurvínek ist ja erst einmal nur zum Ausprobieren eingezogen.

Hurvínek ist so groß, dass sogar mein Festnetztelefon Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Das habe ich mir unter einem Smartphone mit dem Zusatz »Mini« im Namen nicht vorgestellt. Was mich für Hurvínek einnimmt, ist seine Menüführung. Ich schaffe es, die Notizfunktion aufzurufen, ohne dabei versehentlich eine Pizza zu bestellen. Das ist viel wert für jemanden wie mich.

Neulich sprachen mich im Treppenhaus meine Nachbarn aus dem Erdgeschoss an, ein älteres türkisches Ehepaar. Er hielt mir sein Smartphone hin. Offenbar hatte er versehentlich den Ton deaktiviert und jetzt klingelte es nicht mehr. Sie erhofften sich Hilfe von mir, weil ich jung genug bin, mich mit so etwas auskennen zu können. Sie wissen ja nicht, dass ich das Smartphone meiner Mama überfordert an sie weiterreiche, wenn es klingelt und ich abheben soll, aber nicht weiß, welche der Nazca-Geoglyphen ich mit dem linken Ringfinger auf das Display zeichnen soll, damit das funktioniert.
Ich bin eine riesengroße Enttäuschung für meine Nachbarn gewesen. Immerhin lachten sie verständnisvoll, als ich mein Zahrad-Internet-Handy aus der Tasche fischte und damit winkte zum Zeichen, dass von mir keine Hilfe zu erwarten ist.

Nun also Hurvínek. Mit Hurvínek kann ich Notizen und To-Do-Listen erstellen und mit lustigen Bildern versehen. Hurvínek hat zwei verschiedene Kalender-Widgets, und wenn ich sie richtig konfiguriere, weiß das eine nicht, was das andere tut. Das ist sehr praktisch, um das Raum-Zeit-Kontinuum zu brechen. Dafür klingelt Hurvíneks Wecker nicht, wenn ich das Smartphone ausschalte. Vielleicht ist das Teil seiner Smartheit: Hurvínek weiß um seine Rechte und macht keinen Finger krumm, wenn er nicht im Dienst ist. Mein altes Handy ist da ja eher der idealistische Typ.

Im Moment liegt Hurvínek groß und stumm auf meinem Schreibtisch und ist sehr stolz darauf, wie schnell auf seinem spiegelblanken Display Fingerabdrücke entstehen. Wir haben schon ein paar ernste Worte miteinander gesprochen, Hurvínek und ich. Er weiß jetzt, dass er bei mir ein ruhiges Leben haben könnte, wenn er wollte: Überschaubare Arbeitszeiten, um mir von unterwegs mal ganz ohne Zahnräder meine Mails abzurufen, zu twittern oder mich vorm Verlaufen im eigenen Kiez zu bewahren. Wenn ich daheim an meinem Schreibtisch sitze, habe ich Hurvínek erklärt, muss er mir nicht mitteilen, dass ich neue Mails habe. Das macht dann Kollege Laptop. Ich möchte kein WhatsApp, obwohl es da lustige Essens-Smileys gibt. Es ist mein liebstes Hobby, nicht ständig erreichbar zu sein, und wenn das Hurvínek nicht passt, kann er ja gehen.

Ich bin noch nicht sicher, wie Hurvínek das alles findet. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Smartphones keine Meinung haben. Das ist okay. Im Gegenzug kann man — glaube ich jedenfalls, wenn man sich nur geschickt genug anstellt — mit ihnen telefonieren.

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Beitragsbild: stokpic/Pixabay

2 Kommentare

  1. Hihi. Was für ein Feelgood-Bericht. 😀 Aber ich fürchte fast, da du ihm schon einen Namen gegeben hast, wird Hurvínek vermutlich nicht so schnell ausziehen.
    Wobei ich zugeben muss, auch nicht so technikhörig zu sein. (Ja, mein Telefon ist auch immer stumm. Schade eigentlich, weil ich ihm beigebracht habe, Akte-X zu klingeln.) Curies Namensvetterin würde sich jedenfalls vermutlich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, dass ich auf dem Telefon mittlerweile nur noch spiele und es als Musikspieler/ Uhr benutze. 0:-) Dafür ist Curie aber schon „steinalt“ (3 Jahre). Ach, und Evernote möchte ich eigentlich auch nicht mehr missen.

    Aber eine Frage hätte ich noch: Warum machst du Hurvínek aus? Du kannst es doch auf Standby lassen, oder versteh ich dich gerade falsch?

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    • Oh, Curie ist ja mal ein genialer Name für ein Handy! Möge sie noch ein langes stummes Leben haben.

      Das mit dem Ausschalten ist vermutlich doof formuliert: Natürlich kann ich Hurvínek auf Standby lassen. Mir ging es da eher ums Prinzip. Ich finde es genial, dass mein Uralt-Handy mich auch dann weckt, wenn es ausgeschaltet ist (zum Beispiel, um den Akku zu schonen), und komme noch immer nicht drüber hinweg, dass viele Smartphones zwar alles Mögliche können, aber das eben nicht. In der Alltagspraxis wird es vermutlich kaum ins Gewicht fallen, aber schwach finde ich es dennoch.

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